Diese Serie von Blogeinträgen beschreibt die Relevanz kultur- und sozialanthropologischer Zugänge in der Untersuchung digitaler Technik und Technologien, dargestellt anhand wissenschaftstheoretischer Aspekte in der Entwicklung der Forschungsfelder der “Cyberanthropologie” und der “Digitalen Anthropologie”. Kommentare und/oder Anmerkungen sind dezidiert erwünscht.
Die einzelnen Blogeinträge bauen, leicht verändert, auf einen Text, der 2019 im Sammelband Ritualisierung – Meditatisierung – Performance publiziert wurde:
Budka, P. (2019). Von der Cyber Anthropologie zur Digitalen Anthropologie. Über die Rolle der Kultur- und Sozialanthropologie im Verstehen soziotechnischer Lebenswelten. In M. Luger, F. Graf & P. Budka (Eds.), Ritualisierung – Mediatisierung – Performance (pp. 163-188). Göttingen: V&R Unipress/Vienna University Press. https://doi.org/10.14220/9783737005142.163
Cyberanthropologie 1/2
Die Bezeichnung “Cyberanthropologie” lehnt sich an Wortschöpfungen wie “Cyberspace”, “Cyberkultur” und “Cyberpunk” an, die vor allem der Science-Fiction-Literatur und damit der Populärkultur entstammen (Knorr 2011; Tomas 1991). Der Begriff “Cyberspace” beispielsweise wurde das erste Mal vom Science-Fiction-Autor William Gibson in der Kurzgeschichte Burning Chrome (1982) verwendet und beschreibt einen computergenerierten Raum kollektiver Halluzination (siehe auch Gibson 1984). Das Präfix “Cyber” hat eine längere Geschichte und wurde durch den Mathematiker Norbert Wiener Ende der 1940er Jahre popularisiert. Er verwendete den Begriff “Kybernetik” (“Cybernetics”), um einen interdisziplinären Wissenschaftskomplex zu beschreiben, der sich mit Steuerung und Regelung in informationellen, mechanischen oder natürlichen Systemen befasst (Wiener 1948). In ihrer grundlegenden Form versteht Wiener Kybernetik als eine Theorie von Informationen, Signalen oder Nachrichten, die das Ziel verfolgt, ein Verfahren zur Informationsgenerierung und -organisation zu entwickeln, um etwa Mensch-Maschine-Kommunikation zu ermöglichen (Axel 2006: 359; siehe auch Knorr 2011: 31ff.; Matzker 1998: 157ff.).
Die Arbeit der Kybernetiker trug maßgeblich dazu bei, dass Themen wie Kommunikation sowie soziotechnische Beziehungen und Systeme in den Mittelpunkt anthropologischer Projekte rückten (z. B. Axel 2006; Boyer 2010). Gregory Bateson (2000) beispielsweise war besonders an den kommunikativen Beziehungen zwischen Organismen – menschlichen und nicht-menschlichen – und deren Umwelt interessiert. Kybernetik, so hoffte er, könnte entscheidend zum Verständnis komplexer Systeme, von Mensch-Nicht-Mensch-Interaktionen und letztlich auch des menschlichen Geistes selbst beitragen. Während die Kybernetik als interdisziplinäres Projekt in den 1980er Jahren an Schwung verlor, wurde die Suche nach Antworten auf komplexe Problemstellungen in Zusammenhang mit zunehmend technologisierten Systemen sowie Mensch-Nicht-Mensch-Kommunikation und -Interaktion in der Anthropologie fortgesetzt. Mitte der 1990er Jahre ließen sich drei größere cyberanthropologische Forschungsprojekte identifizieren, die einerseits miteinander verknüpft waren, andererseits ihren Fokus aber auf unterschiedliche Phänomenbereiche legten (Escobar 1994: 215ff.):
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