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Blog Post Series: Von der Cyberanthropologie zur Digitalen Anthropologie – Teil 3

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Diese Serie von Blogeinträgen beschreibt die Relevanz kultur- und sozialanthropologischer Zugänge in der Untersuchung digitaler Technik und Technologien, dargestellt anhand wissenschaftstheoretischer Aspekte in der Entwicklung der Forschungsfelder der “Cyberanthropologie” und der “Digitalen Anthropologie”. Kommentare und/oder Anmerkungen sind dezidiert erwünscht.
Die einzelnen Blogeinträge bauen, leicht verändert, auf einen Text, der 2019 im Sammelband Ritualisierung – Meditatisierung – Performance publiziert wurde:
Budka, P. (2019). Von der Cyber Anthropologie zur Digitalen Anthropologie. Über die Rolle der Kultur- und Sozialanthropologie im Verstehen soziotechnischer Lebenswelten. In M. Luger, F. Graf & P. Budka (Eds.), Ritualisierung – Mediatisierung – Performance (pp. 163-188). Göttingen: V&R Unipress/Vienna University Press. https://doi.org/10.14220/9783737005142.163

Von der Cyberanthropologie zur Digitalen Anthropologie – Eine Einleitung

Während in den Anfängen der anthropologischen Analyse von neuen digitalen Informations-, Kommunikations- und Medientechnologien noch von “Cyberanthropologie” bzw. “Cyberanthropology” (z.B. Budka/Kremser 2004; Knorr 2011) gesprochen wurde, werden diese Begriffe zunehmend von der Bezeichnung “Digitale Anthropologie” (z. B. Horst/Miller 2012) abgelöst.1 Obwohl sich die Bezeichnungen dieses Forschungsfeldes im Laufe der Jahre und unter Einfluss unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen sowie gesellschaftlicher und (populär)kultureller Trends änderten, blieben die Forschungsthemen und -schwerpunkte ähnlich: die soziokulturellen Implikationen und Bedeutungen neuer, digitaler Technologien. Dabei befassen sich AnthropologInnen oftmals mit den Verbindungen zwischen digitalen Technologien, Medien oder Kommunikationsformen einerseits und soziokulturellen Phänomenbereichen andererseits, die traditionell intensiv in der Disziplin bearbeitet werden, wie gesellschaftliche Beziehungen und Organisationsformen, kulturell unterschiedliche Formen der Kommunikation und Identitätskonstruktion, Ritualdynamiken und religiöse Prozesse oder ökonomische Praktiken (z. B. Budka/Kremser 2004; Horst/Miller 2012; Schröder/Voell 2002; Whitehead/Wesch 2012b).

Internet Café, Toronto, Canada. Photo by Philipp Budka

Das soziotechnische Phänomen, das die anthropologische Forschung zu digitalen Medientechnologien entscheidend vorantrieb, ist das Internet.2 Daniel Miller und Don Slater (2000: 14), die eine der ersten ethnographischen Studien über das Internet durchführten, betonen bereits hier, dass das Internet kein ausschließlich technisches, technologisches oder infrastrukturelles Phänomen sei, sondern auch ein soziokulturelles: Es ermöglicht Kommunikation, soziale Interaktion und kulturelle Repräsentation und ist nicht zuletzt deshalb Gegenstand anthropologischer Forschung (siehe auch Hart 2004). Das Internet und das World Wide Web (WWW)3 versprachen eine ganze Reihe von Dingen: unmittelbare globale Kommunikation, vernetztes Organisieren von Information und neue Formen von Politik, Ökonomie und Sozialität.

Howard Rheingold (2000: xviii), beispielsweise, betonte die Tragweite des “Cyberspace” für politische Freiheit und die Veränderung des “realen Lebens” durch die Etablierung “virtueller Gemeinschaften”. In der Untersuchung dieser neuen Vergemeinschaftungsformen befassten sich die ersten sozialwissenschaftlichen InternetforscherInnen zunächst mit deren (kommunikativen) Strukturen und ihrer (soziologischen) Entwicklung (z. B. Jones 1995; Smith/Kollock 1999). In der Folge verschob sich der Forschungsfokus auf den (sozialen) Netzwerkcharakter von Gesellschaften und Gemeinschaften, der sich, zumindest nach Meinung einiger SoziologInnen, im Internetzeitalter verstärkt und sogar konstituierend für das digital vernetzte Individuum ist (z. B. Castells 2000; Rainie/Wellman 2012).

Anthropologische Beiträge zur Internetforschung kritisieren etablierte, tendenziell modernistische und westlich-dominierte Konzeptualisierungen von digitaler Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung und bieten gleichzeitig alternative Verständniszugänge zu diesen neuen Formen von Sozialität an, die durch kulturellen Vergleich und ethnographische Feldforschung gestützt werden. Unter den Denkmodellen, die das dominierende Gemeinschaft/Netzwerk-Paradigma im Verstehen digitaler Sozialität potenziell erweitern, finden sich etwa Victor Turners “Communitas”, “Liminalität” und “Soziales Drama” (Postill 2011; Tomas 1991; Waskul 2005); das Konzept des “Sozialen Feldes”, das von der Manchester School und Pierre Bourdieu geprägt wurde (Postill 2008, 2011); und Joanna Overings Modell der “Konvivialität” (Budka/Mader 2009).

Wichtigste methodische Herangehensweise, um Phänomene wie das Internet zu untersuchen, ist für die Anthropologie die ethnographische Feldforschung. Diese empirische Strategie passt sich dabei dem Forschungsfeld, das letztlich vor allem durch die sich beständig verändernden Handlungsräume von Menschen konstruiert wird, an (Kremser 1998: 143; siehe auch Marcus 1998; Olwig/Hastrup 1997). Das bedeutet, dass sowohl die Methodik als auch die Methodologie der Anthropologie etwa aufgrund neuer, Internet-basierterWerkzeuge für die Erhebung, Analyse und Repräsentation ethnographischer Daten einem ständigen Wandel unterliegen (z. B. Fabian 2002; Kelty 2009). ForscherInnen werden so auch kontinuierlich mit neuen, beispielsweise ethischen, Herausforderungen konfrontiert.

In der Feldforschung kommen unterschiedliche Instrumente und Techniken der Datenerhebung zum Einsatz, wobei die teilnehmende Beobachtung – die aktive Teilnahme am Alltagsleben von Menschen über einen längeren Zeitraum und die Beschreibung desselben – das wichtigste Instrumentarium darstellt. Wie beispielsweise Tom Boellstorff (2008) zeigt, kann es sich dabei auch um das Leben in virtuellen Welten handeln, die von AnthropologInnen und EthnographInnen in diesem spezifischen Kontext erforscht werden. Mittels Feldforschung versucht die Anthropologie also Befunde darüber zu liefern, wie wir in einer digitalen, materiellen und sensorischen Welt leben und wie sich dieses Leben beständig verändert (z. B. Coleman 2010; Pink et al. 2016; Sanjek/Tratner 2016). Auch hier beginnt sich ein neuer Begriff durchzusetzen, der der rasant zunehmenden Bedeutung des Digitalen und der fortschreitenden Digitalisierung Rechnung trägt: “Digitale Ethnographie” (z. B. Pink et al. 2016).

  1. Ähnliche Forschungsansätze mit dem Präfix “Cyber-” oder dessen Abwandlungen heißen etwa “Anthropologie des Cyberspace” (Hakken 1999), “Anthropologie der Cyberkultur” (Escobar 1994) oder “Cyborg Anthropology” (Downey/Dumit/Williams 1995).
  2. Zur Geschichte und den Ursprüngen des Internet siehe etwa Hafner und Lyon (1998) sowie Internet Society (2017).
  3. Das World Wide Web dient als eine Art graphisches Interface für das Internet, das die Einbindung multimedialer Inhalte und dieVerlinkung von Dokumenten (Webseiten) ermöglicht. So hat das WWW zur weltweiten Zugänglichkeit und Verbreitung des Internets beigetragen. Hier gilt es zu beachten, dass diese Verbreitung nicht gleichmäßig erfolgte und diese Ungleichheiten in Zugänglichkeit und Nutzung kontrovers diskutiert werden (z.B. Hacker 2007; Green 2003; Gurstein 2015; Nakamura/Chow-White 2012).

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